Wie effektiv ist die Evaluierung Ihres Aufsichtsrats?

In zu vielen Unternehmen wird die Effektivität des Aufsichtsrats immer noch in der Vergangenheitsform beurteilt. Die Frage „Warum war der Aufsichtsrat nicht effektiv (genug)?“ ist oft mit erheblichen Reputationsschäden und rechtlichen Risiken verbunden. Wäre es nicht besser sich auf die Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren und zu fragen „Wie effektiv ist Ihr Aufsichtsrat“ und „Wie trägt Ihr Aufsichtsrat zur Wertschöpfung bei? Dies gilt umso mehr in Zeiten permanenter Transformation, multipler Krisen und geopolitischer Veränderungen, in denen die Komplexität und die Risiken, mit denen sich Aufsichtsräte auseinandersetzen müssen, zugenommen haben. Basierend auf unserer umfangreichen Erfahrung in der Evaluierung und Bewertung von Aufsichtsräten globaler renommierter Organisationen haben wir die sich wandelnden Anforderungen an die Evaluierung von Aufsichtsräten zusammengefasst und Vorschläge entwickelt, wie die nächste Evaluierung von Aufsichtsräten in ihrer Wirkung verbessert werden kann.

Die Notwendigkeit der Evaluierung von Aufsichtsräten ist dramatisch gestiegen

Angesichts des Drucks wichtiger Stakeholder wird die Evaluierung und Bewertung von Aufsichtsräten immer wichtiger:

Investoren & Stimmrechtsberater: Investoren werden immer anspruchsvoller und vermeintliche Schwächen im Aufsichtsrat rufen immer häufiger aktivistische Investoren auf den Plan. Zudem befinden wir uns in einer Ära der Stimmrechtsberater, die den Druck auf die Effektivität des Aufsichtsrats deutlich erhöht1. Unternehmen sind gefordert, ihre Überzeugung von der Effizienz und Wertschöpfung des Aufsichtsrats durch qualitativ hochwertige Evaluationen zum Ausdruck zu bringen und diese zum Anlass zu nehmen, auch über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nachzudenken.

Regulatoren, Ratingagenturen und Öffentlichkeit: Die Forderung von Regulatoren und Ratingagenturen nach einer objektiven Evaluierung der Leistung von Aufsichtsräten wird immer lauter. Insbesondere bei ESG-Ratings rückt die Qualität der Bewertung von Aufsichtsräten im Hinblick auf eine nachhaltige Unternehmensführung im Rahmen von G (Governance) zunehmend in den Fokus. Darüber hinaus wird die Evaluierung von Aufsichtsräten immer mehr zum Standard guter Corporate Governance, was sich in zahlreichen Empfehlungen und Corporate Governance Kodizes niederschlägt.

CEOs und Vorstände: Vorstände sind starke Befürworter robuster Evaluierungen von Aufsichtsräten, , da ein effektiver Aufsichtsrat auch als Berater des Vorstands fungiert und diesen in schwierigen Entscheidungssituationen mit seiner Expertise unterstützt. Wir empfehlen, CEOs und Vorstände aktiv in den Evaluierungsprozess des Aufsichtsrats mit einzubinden und dabei unabhängige und objektive Beratung einzuholen. Nach unserer Erfahrung hilft die Einbindung des Vorstands, Veränderungen anzustoßen, die nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand verbessern, sondern sich auch nachhaltig positiv auf die Wertschöpfung des Unternehmens auswirken.

Die Überprüfung der Effizienz des Aufsichtsrats ist eine Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und über die Kultur und die Ziele des Aufsichtsrats nachzudenken. Wir sind davon überzeugt, dass es keine „one-size-fits-all“-Lösung für die Evaluierung des Aufsichtsrats gibt. Aufsichtsräte sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass die Effektivität von Aufsichtsratsevaluationen sehr unterschiedlich ist. Im Wesentlichen wird die Effektivität der Evaluierung dabei von den Fragestellungen zu Rahmen, Prioritäten, Methoden, Verantwortlichkeiten und der konkreten Umsetzung der Erkenntnisse geprägt.

Auf welche Bewertungskriterien konzentriert sich Ihre Evaluierungsstrategie und welche Prioritäten setzen Sie bei der Durchführung Ihrer Evaluierung?

Effektive Evaluierungen des Aufsichtsrats bewerten die Leistung auf drei Ebenen: des gesamten Aufsichtsrats, der Ausschüsse und der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder. Investoren erwarten zunehmend eine Evaluierung, die ein vollständiges Bild der Effektivität des Aufsichtsrats vermittelt.2 Der integrierte Ansatz der Aufsichtsratsevaluierung, der ein Feedback zur Leistung auf allen drei Ebenen ermöglicht, bietet die beste Evidenz und das größte Potenzial zur Verbesserung der Effektivität des Aufsichtsrats und ist heute Best Practice in kapitalmarktorientierten Unternehmen. Mehr als die Hälfte der im Stoxx 50 gelisteten Unternehmen nutzen diesen integrierten Ansatz zur Festlegung des Bewertungsrahmens.

Die Effektivität eines Aufsichtsrats wird maßgeblich durch seine Ziele, Strukturen, Prozesse und Personen bestimmt. Evaluierungen sollten daher ganzheitlich untersuchen, welche Ziele ein Aufsichtsrat verfolgt, wie er strukturiert ist, wie er arbeitet, wie er die knappe Zeit auf die Themen verteilt und wie es um die Diskussionskultur bestellt ist. Zu viele Evaluierungsprozesse sind noch zu einseitig prozessorientiert. Die Leistung des Aufsichtsrats wird jedoch nicht von Tagesordnungen und Richtlinien bestimmt, sondern wesentlich von der strategischen Ausrichtung und der Gesamtdynamik des Gremiums, der Interaktion der Mitglieder untereinander und mit den Stakeholdern sowie den Erfahrungs- und Kompetenzschwerpunkten der einzelnen Mitglieder. Eine Evaluierung des Aufsichtsrats sollte daher umfassend sein, sich auf Ziele, Strukturen, Prozesse und Personen konzentrieren und über das Abarbeiten von Checklisten hinausgehen, damit aus validen Erkenntnissen auch konkrete Vorschläge und Maßnahmen abgeleitet werden können.

Nach unserer Erfahrung hat es sich bewährt, die strategische Ausrichtung des Gremiums und seiner Ausschüsse vor dem Hintergrund der strategischen Ausrichtung und der angestrebten Entwicklung des Unternehmens sowie zukünftiger Trends umfassend zu bewerten und dabei auch das Modell der Zusammenarbeit mit dem Vorstand zu beleuchten. Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf der Analyse der Dynamik und Kultur des Gremiums und der Ausschüsse sowie der Dynamik zwischen den Mitgliedern liegen, wobei hier insbesondere die Diskussionskultur zu betrachten ist. Darüber hinaus zeigt sich immer wieder, dass Erfahrungs- und Kompetenzlücken im Gremium zu blinden Flecken führen und der Aufsichtsrat gerade bei Zukunftsthemen wie Technologie und Nachhaltigkeit zum Risiko wird.

Durch diesen umfassenden Ansatz können Aufsichtsräte den Evaluierungsprozess nutzen, um ein Benchmarking durchzuführen und Einblicke zu erhalten, wie der Aufsichtsrat in Bezug auf seine Effektivität im Vergleich zu Peer Groups abschneidet, inwieweit er die sich verändernden Prioritäten der Investoren abdeckt und ob die strategische Ausrichtung sowie die vorhandene Erfahrung und Kompetenz im Gremium für zukünftige Trends richtig positioniert sind.

Auf welche Methoden stützen Sie Ihre Evaluierung, und wie gewährleisten Sie deren Validität?

Die Art und Weise wie Informationen erhoben werden, spielt eine wesentliche Rolle für die Qualität der der Evaluierung. Online-Fragebögen haben ihre Berechtigung, müssen aber richtig eingesetzt werden und sind allein keine ausreichende Methode. Online-Fragebögen werden am besten eingesetzt, um die wichtigsten Themen zu formulieren, mit denen die Mitglieder des Gremiums konfrontiert sind, und die Ergebnisse als Ausgangspunkt für strukturierte Einzelinterviews zu nutzen, um die Schlüsselthemen zu vertiefen. Analytisch valide Assessments liefern insbesondere auf der Ebene des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds wichtige Erkenntnisse, sind aber in ihrer Aussagekraft begrenzt, da Assessments, die lediglich Unterschiede in den Mittelwerten aufzeigen, keine aussagekräftigen Erkenntnisse oder Verbesserungsmöglichkeiten liefern, da die Stichprobengröße schlichtweg keine statistisch signifikanten Daten liefern kann. Persönliche Interviews liefern die Nuancen, die jede valide Evaluation benötigt und sind die Grundlage jeder robusten und effektiven Evaluation. In einer umfassenden Evaluation sollten darüber hinaus weitere Datenpunkte wie Protokolle, Abstimmungsverhalten, Lebensläufe und Mandate der Mitglieder etc. einbezogen werden. Aus unserer Erfahrung hängt es vor allem von der konkreten Situation ab, wie die Methoden sinnvoll kombiniert werden.

Wer trägt welche Verantwortlichkeiten für die Steuerung und Durchführung des Bewertungsprozesses?

Die Anzahl der Unternehmen, die eine unabhängige die eine unabhängigen dritte Partei bei der Evaluierung ihres Aufsichtsrats hinzuziehen, hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Diese Entwicklung ist vor allem auf den Druck der Investoren zurückzuführen, die zunehmend eine höhere Professionalisierung und objektive, evidenzbasierte und unabhängige Evaluierungsprozesse erwarten. Zum anderen haben immer mehr Aufsichtsräte erkannt, dass sie durch eine von externen Beratern durchgeführte Evaluierung vertiefte Erkenntnisse und Empfehlungen erhalten können, insbesondere wie sie die Leistung und Effektivität des Gremiums steigern können.

Nach unserer Erfahrung führt eine Kombination aus jährlicher Selbstevaluierung und einer umfassenden Evaluierung durch externe Berater alle zwei, spätestens alle drei Jahre zu den besten Ergebnissen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der interne Evaluierungsprozess regelmäßig weiterentwickelt und an Veränderungen angepasst werden muss, um effektiv zu bleiben und die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Die externe Evaluierung sollte als umfassende Evaluierung genutzt werden, die über die Corporate Governance-Situation hinaus insbesondere die strategische Ausrichtung sowie Erfahrungs- und Kompetenzlücken des Gremiums analysiert und vor dem Hintergrund der Unternehmensstrategie und -trends bewertet, die Zusammenarbeit mit dem Vorstand beleuchtet und einen Schwerpunkt auf die Dynamik und Kultur des Gremiums und der Ausschüsse sowie die Dynamik zwischen den Mitgliedern legt.

Unserer Erfahrung nach sollten bei solchen umfassenden Evaluierungen immer auch Dritte einbezogen werden, da es auch bei besten Absichten Grenzen gibt, wie objektiv Interne sein können und wie viel Offenheit erwartet werden kann. Zudem fehlen den Internen oft Benchmarks und Best-Practice-Beispiele, was dazu führt, dass die gewonnenen Informationen nicht in den richtigen Kontext gestellt werden können, falsche Schlüsse gezogen oder mangelhafte Konzepte entwickelt werden.

Wie werden die Erkenntnisse aus der Evaluierung in Maßnahmen übersetzt und wie wird die Umsetzung gewährleistet?

Neue Erkenntnisse und die Identifizierung von Chancen allein reichen nicht aus. Sie können nur als Ausgangspunkt dienen, um Maßnahmen abzuleiten und einen konkreten Fahrplan, einschließlich Governance und Verantwortlichkeiten, zur Umsetzung dieser Maßnahmen zu entwickeln. Jede Evaluierung sollte daher als Teil eines umfassenderen, revolvierenden Prozesses zur Verbesserung der Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats und nicht als einmaliges Ergebnis betrachtet werden. Um wirksame Ergebnisse zu erzielen und Veränderungen herbeizuführen, sollten die Fortschritte kontinuierlich überwacht und im Rahmen des mehrjährigen Evaluierungszyklus bewertet werden.

Wie unser Case „Entwicklung eines Evaluierungsprozesses für den Aufsichtsrat“ zeigt, ist eine misslungene Evaluation des Aufsichtsrats einer der häufigsten Gründe, warum wir beauftragt werden.. Wir erleben immer wieder, dass Gremien eine Liste von Vorschlägen erhalten, die weder Umsetzungsrisiken noch Skalierungsmöglichkeiten berücksichtigen. Oft fehlt es den Vorschlägen und Konzepten an einer Priorisierung oder sie sind schlichtweg kaum umsetzbar. Bei einem so sensiblen Thema wie der Evaluation ist es zudem von größter Bedeutung, Feedback und Maßnahmen so zu präsentieren, dass kein Misstrauen geschürt oder die Kollegialität beschädigt wird. Oft haben missglückte Evaluationen erhebliche Auswirkungen auf die Dynamik und Effektivität des Gremiums, daher sollten Themen mit erfahrenen Experten zukunftsorientiert diskutiert und Maßnahmen positiv konnotiert werden.

Die meisten unserer Kunden setzen auf eine umfassende Evaluierung alle zwei bis drei Jahre und nutzen diese nicht nur, um die Prioritäten für die folgenden Jahre festzulegen, sondern nutzen den Evaluierungsprozess auch, um die strategische Ausrichtung kritisch zu hinterfragen und als Ausgangspunkt für die Nachfolgeplanung des Gremiums, indem sie spezifische Qualitäten und Erfahrungen identifizieren, die bei Ausscheiden von Mitgliedern aus dem Gremium ergänzt werden sollten.

Autoren

1 – ISS “Board refreshment is best implemented through an ongoing program of individual director evaluations, conducted annually, to ensure the evolving needs of the board are met and to bring in fresh perspectives, skills, and diversity as needed.”
– Glass Lewis “Glass Lewis strongly supports routine director evaluation, including independent external reviews, and periodic board refreshment to foster the sharing of diverse perspectives in the boardroom and the generation of new ideas and business strategies. Further, we believe the board should evaluate the need for changes to board composition based on an analysis of skills and experience necessary for the company, as well as the results of the director evaluations, as opposed to relying solely on age or tenure limits.”
– Vanguard Vanguard believes that “regular and meaningful evaluations enable boards to analyze their current composition and identify opportunity areas.”
– BlackRock “Board composition, effectiveness, diversity, and accountability remain top priorities.” Supports robust evaluation practices and disclosure.
– State Street Global Advisors SSGA views “board quality as a measure of director independence, director succession planning, board diversity, evaluations and refreshment, and company governance practices.”
– Northern Trust “Boards should, on at least an annual basis, formally evaluate the CEO, the board as a whole, and individual directors. Evaluation of the board as a whole should consider the balance of skills, experience, independence, and knowledge of the company on the board relative to the company’s long-term strategic plan. Evaluation of the board should also consider the board’s diversity, including gender, how the board works together as a unit, and other factors relevant to its effectiveness. Individual evaluation should aim to show whether each director continues to contribute effectively and to demonstrate commitment to the role.”
– Legal General Investment Management LGIM believes “the evaluation of directors is an essential way of improving board effectiveness and ultimately its performance. It is also a way for investors to determine the quality of debate and interaction between board members… LGIM expects an internal board evaluation to take place annually… External reviewers can also bring different perspectives on the functioning of the board, as well as experience of how other boards operate.”
2Council of Institutional Investors: Board Evaluation Disclosure, January 2019

Publikationen

Manchester United

Der Manchester United Case: Neue Governance für den Erfolg

Board Effectiveness und Board Excellence
Board Effectiveness

Board Effectiveness: Transformation eines Aufsichtsrats

Board Effectiveness und Board Excellence
Board Review

Entwicklung eines Evaluierungsprozesses für den Aufsichtsrat

Board Effectiveness und Board Excellence